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Was ist ein Engramm? Was ist ein Neuronales Netz? Was sagt das Hepp'sches Gesetz?
Was bleibt in unserem Gedächtnis? Was macht uns aus?
"Garten" - Woran denken Sie, wenn Sie das Wort "Garten" hören?
An ein schattiges Plätzchen unter einem gemütlichen alten Baum, Sie sitzen auf einer Gartenbank mit selbst genähten Kissen, vor sich ein Stück duftenden Apfelkuchen? Um Sie herum summen Bienen und zwitschern Vögel? Ein gutes Buch wartet, und um Sie herum blühen kleine Vergissmeinnichte und tanzen Schmetterlinge von Ringelblume zu Ringelblume?
Oder ist "Garten" für Sie Knochenarbeit, das Umgraben im Herbst, die Matsche, wenn es lange geregnet hat, das Unkraut, das alles überwuchert, wenn Sie mit dem Jäten nicht nachkommen?
Oder ist "Garten" für Sie etwas ganz anderes?
Was "Garten" für Sie bedeutet, ist individuell. Nur in Ihrem Gehirn gibt es genau die Geschehnisse, Verknüpfungen und damit Erinnerungen, die für Sie "Garten" bedeuten. Was "Garten" für Sie bedeutet, hängt von den Erfahrungen ab, die Sie in Ihrem Leben mit "Garten" machen.
"Cells that fire together, wire together", postulierte der kanadische Psychologe Donald O. Hebb 1949. Das bedeutet, dass Nervenzellen, die während einer Erfahrung gleichzeitig aktiv sind, bei einer späteren Stimulation einander wieder anregen werden. Je intensiver oder je häufiger dieses gleichzeitige Aktivsein stattgefunden hat, desto wahrscheinlicher wird eine Nervenzelle die andere anregen. Als Beispiel aus der Literatur wird oft Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit genannt, in dem der Icherzähler berichtet, wie er beim Duft von Madeleine-Gebäck in Lindenblütentee in seine Kindheit versetzt wird.
Engramm - Neuronales Netz
Für jedes Wort, für jede Idee haben sich einzelne Erinnerungsspuren haben bei Ihnen geformt, sie haben Nervenzelle mit Nervenzelle verknüpft. Mehrere solcher Verknüpfungen bilden ein Netzwerk, das aktiv wird, wenn Sie das Wort "Garten" denken, wenn Sie es hören oder lesen.
Als biologische Grundlage des menschlichen Gedächtnisses gilt das Engramm. Ein Engramm ist eine Veränderung im Gehirn, die entsteht, wenn wir etwas wahrnehmen, uns einprägen und behalten (siehe https://www.pschyrembel.de/Engramm/K0RND). Das Engramm ist die physische Repräsentation unserer Erinnerung, schreibt die Rechtspsychologin Julia Shaw in Ihrem Buch "Das trügerische Gedächtnis". Es ist eine Kette synaptisch verschalteter Nervenzellen, sagt Professor Stefan Remy. In seiner Antrittsrede am Leibniz Institut für Neurobiologie in Magdeburg 2020 gebraucht er für das Entstehen von Erinnerungen das Bild vom Wasser, dass seinen Weg zu Bächen, Flüssen, Strömen findet oder auch als Rinnsal irgendwo versickert. Er drückt es so aus: "Unsere Erinnerungen bahnen sich Wege durch unsere neuronalen Netze – plastisch – wie Wasser, das das Flussbett eines Baches formt – je stärker die Strömung – die neuronale Aktivität – desto stärker formt sich dieses Flussbett – kontinuierlich verändert es sich und manche Erinnerungen formen breite Ströme, andere kaum auffindbare Rinnsale".
Zwei Aspekte finde ich an diesen Überlegungen besonders relevant:
- Das, was wir häufig wahrnehmen, denken, womit wir uns beschäftigen, wird zu einem größeren Fluss. Es ist leicht im Gedächtnis auffindbar. So wie die Assoziationen, die Sie mit "Garten" verknüpfen.
- Unsere Erinnerungsspuren sind keineswegs starr, sonder formbar und veränderbar. Das nennen Forscher Plastizität, also die Formbarkeit des Gehirns.
Dies bedeutet, dass unsere Erinnerungen, also die Verbindungen zwischen den gespeicherten Wahrnehmungen und Eindrücken ein veränderbares Netz darstellen. Und dass Gedanken, die wir häufig haben, den Verbindungen in diesem Netz leicht folgen. Genauso, allerdings vermutlich mit höherem Energieaufwand, können wir unsere Gedanken auf neue Wege schicken. Wenn wir unsere Energie vermehrt dorthin fließen lassen, wo bisher nur ein Rinnsal ist oder sogar vertrocknete Dürre herrscht, kann sich ein neuer Strom formen. Und an seinen Ufern können ganz neue Blumen wachsen und blühen. Also kann "Garten" seine Bedeutung verändern.
Demnach liegt es, zumindest zu einem großen Teil, an uns selbst, welches Gedächtnis wir für uns bauen möchten. Wir können ein Wörtchen mitdenken, während sich die Ereignisse in unsere Nervenketten hineinschreiben.
Meine Gedanken wurden angeregt von
- Franziska Luschas, z.B. https://bossimkopf.de/warum-es-besser-ist-boss-im-kopf-zu-werden-anstatt-dem-goldenen-tipp-hinterherzujagen/
- Julia Shaw. Das trügerische Gedächtnis. Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht. Carl Hanser Verlag. 2016.
- Stefan Remy. Rede_zur Amtseinführung_am 07.01.2020, https://www.lin-magdeburg.org/fileadmin/user_upload/01_Forschung/Rede_Remy.pdf
- https://www.pschyrembel.de/Engramm/K0RND
- Marcel Proust. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
- Kurs bei Savina Tilmann: Resilienz durch Ressourcenarbeit, Mai 2020